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Ulrich Hottelet
Freier Journalist

Dieser Kommentar wurde von einer Redaktion wegen zu scharfer Kritik an den Medien abgelehnt. Ich veröffentliche ihn daher hier.

Die Doppelmoral der Medien in der Wulff-Affäre

Exzessiv und geradezu hysterisch haben die Medien Wochen lang über die Kreditaffäre des Bundespräsidenten berichtet. Mehr Augenmaß und weniger Pharisäertum täte dabei den Journalisten gut. Denn die mediale Aufgeregtheit steht in keinem Verhältnis zu den Verfehlungen, die nicht die Schwere einer Staatsaffäre haben. So mancher Kommentar trieft vor Doppelmoral.

Das mehrwöchige mediale Dauerfeuer in den Gazetten, Online-Portalen und TV-Talkshows schlägt nahezu alle Rekorde: Nicht einmal die Bundestagswahl beherrscht derart lange die Schlagzeilen. Dagegen wurde über die Nachricht eines Massakers mit 3000 Toten im Südsudan (die gleiche Zahl an Opfern wie bei den Anschlägen des 11. September!) Anfang Januar fast nur als Randnotiz berichtet. Ein derart hoher Verlust von Menschenleben verursachte in den Medien und in der Öffentlichkeit nicht einmal den Bruchteil des Furors, den die Umstände eines Hauskaufs in Niedersachsen hervorgerufen haben. Da ist die Frage nach den Maßstäben, die in der Bewertung angelegt werden, überfällig.

Um nicht missverstanden zu werden: Christian Wulff hat fraglos diverse Fehler, Versäumnisse und Ungeschicklichkeiten begangen. Mehrfach hat er das nötige Gespür vermissen lassen, sei es im sorglosen Umgang mit Freunden aus der Wirtschaft oder beim Bedrängen von Verantwortlichen des Springer-Verlags. Zudem war sein Krisenmanagement amateurhaft. Andererseits hat er zumindest sein Fehlverhalten mehrfach eingeräumt.

Der Berichterstattungsexzess mutet jedoch wie eine mediale Jagd auf Wulff an. Was sind die Gründe dafür? Zum einen ist es schlicht die kommerzielle Gier nach höheren Auflagen, Quoten und Klickzahlen. Die Affäre eignet sich dafür in mehrfacher Hinsicht sehr gut. Entsprechend kräftig wird das Feuer nimmermüde angeheizt. Die hierzulande starke Neigung vieler Wutbürger zur Häme im Internet kommt da gerade recht, zumal während der nachrichtenarmen Jahreswende, sozusagen dem „Winterloch“.

Zum anderen ist es die nachwirkende Enttäuschung über den Sieg des von vielen als blass empfundenen Kandidaten Wulff über den Medienliebling Joachim Gauck. Dabei wäre dieser seinerseits unter starken Beschuss geraten, als er die Proteste gegen das Gebaren der Finanzmärkte vor Monaten als „unsäglich albern“ bezeichnete. Man kann durchaus spekulieren, dass ein Bundespräsident, der sich in seinen Reden weniger als Wulff zurückhält, sondern sich politisch stärker aus dem Fenster lehnt, von den gleichen Journalisten verrissen wird, die ihn zuvor herbeigeschrieben haben. Die gescheiterten Nicht-Polit-Profis Paul Kirchhoff und Jost Stollmann mussten diese Erfahrung machen.

Zu Recht kritisiert wird Wulffs berüchtigte Nachricht auf der Mailbox von BILD-Chefredakteur Kai Diekmann. Dies hat zu einem Solidarisierungseffekt unter Journalisten geführt. Äußerst merkwürdig mutet aber der Zeitpunkt an, zu dem der Anruf von BILD-Journalisten an andere Zeitungen lanciert wurde: Die Affäre ebbte nach der Jahreswende gerade ab, nachdem sich sogar SPD-Chef Sigmar Gabriel dafür ausgesprochen hatte. Zudem hatte Diekmann die Entschuldigung Wulffs für seine unpräsidiable Wortwahl akzeptiert.

Gerade die BILD müsste es eigentlich gewohnt sein, dass vor der Berichterstattung Druck ausgeübt wird. Schließlich wendet sie seit Jahrzehnten fragwürdige Methoden an, um an Informationen zu kommen oder ihren Storys den gewünschten Dreh zu geben. Promis sehen sich oft vor die Wahl gestellt, entweder das Boulevardblatt mit Infos, zum Beispiel aus ihrem Privatleben, zu beliefern und ihm Interviews zu geben oder ansonsten negative Geschichten über sich dort lesen zu müssen. Wer so agiert, sollte nicht Zeter und Mordio schreien, wenn ein wütender Politiker seinem Ärger auf einem Anrufbeantworter Luft macht. Der eigentliche Missstand sind die verbreiteten Deals zwischen Medien und Politikern. Das bekannteste Beispiel liefert ausgerechnet die BILD-Zeitung mit ihrer strategischen Kooperation mit zu Guttenberg. Zu den Fehlern, die Wulff begangen hat, zählt sicher, dass er dachte, sich durch Homestorys mit Ehefrau Bettina in der BILD das ewige Wohlwollen der Redaktion gesichert zu haben.

Man kann annehmen, dass die Springer-Zeitung ein Exempel statuieren will, dass sie selbst das Staatsoberhaupt stürzen kann. Erreicht sie das, wird das auf alle Objekte ihrer Berichterstattung tiefen Eindruck machen, vom Schlager-Sternchen bis zum Spitzenpolitiker. Sie werden sich dann noch sorgfältiger überlegen, ob sie es sich leisten können, die Kooperation mit dem Blatt zu verweigern.

Gerade seriöse Medien, die normalerweise wohlweislich eine kritische Haltung gegenüber dem Boulevardmedium pflegen, müssen sich hinterfragen lassen, ob sie dieses Spiel mitspielen wollen. Der Medienwissenschaftler Stephan Weichert spricht von einer Entente cordiale zwischen BILD, Spiegel, FAZ und SZ. Der mehr oder minder geneigte Leser erlebt einen Machtkampf zwischen diesen und anderen Medien und dem Staatsoberhaupt. Die Berichterstattung, die eigentliche Aufgabe von Journalisten, ist in vielen Artikeln zum bloßen Mittel zum Zweck verkommen. Die Berichterstatter haben sich zu Akteuren und Jägern aufgeschwungen, die den Bundespräsidenten zum Rücktritt zwingen wollen.

Ihre harsche Kritik an so manchem Detail des Hauskredits und der zögerlichen Offenlegung durch Wulff lässt einen nicht nur angesichts der von vielen Medienvertretern gerne in Anspruch genommenen Presserabatte an den berühmten Bewohner des Glashauses denken, der nicht mit Steinen werfen sollte. Allzu viele Journalisten – leider nicht nur im Boulevard - frisieren ihre Rechercheergebnisse dahingehend, dass eine flotte Geschichte dabei herauskommt. Gegenargumente und Aspekte, die der gewünschten Stoßrichtung entgegenlaufen, werden flugs ignoriert oder marginalisiert. Im Branchenjargon heißt das, man solle „die Story nicht kaputt recherchieren“. Mit dieser Berufsauffassung lassen sich zwar flotte Texte schreiben, mit der Ergründung der Wahrheit hat sie aber wenig zu tun. Auf dieses Podest stellen sich jedoch viele Kommentatoren in der Wulff-Affäre. Selten akribisch und penibel wird jeder Umstand des Hauskredits hin- und hergewendet, auf dass er doch Stoff für die gewünschte Wulff-Schlagzeile von morgen liefern möge. Einen solchen Recherchefleiß wünschte man sich bei so manchem anderen Thema.

Der Journaille kommt in der Debatte im Übrigen eine deutsche Eigenart entgegen. Auch die Öffentlichkeit diskutiert mit Inbrunst Vergehen von Politikern, die in anderen Ländern lediglich ein Achselzucken hervorrufen, sei es der private Gebrauch von Dienstwagen oder das Einheimsen von Bonusmeilen. Auch wenn es dieser hohen Messlatte in der öffentlichen Beurteilung zu verdanken ist, dass ein Berlusconi hierzulande wohl kaum mehrfach wiedergewählt würde, so droht doch, dass das rechte Maß und die Relevanz der jeweiligen Angelegenheit im Sturm der Entrüstung untergehen. Ausländische Beobachter schütteln ob solcher überzogenen Aufgeregtheit oft den Kopf über die Deutschen.

Jenseits der aktuellen Debatte wird ein grundsätzliches Problem deutlich. Das Amt des Bundespräsidenten wird mit Erwartungen an eine Vorbildrolle, möglichst gepaart mit rhetorischer Brillanz, schlicht überfrachtet. Mehr Realismus und Nüchternheit würden gut tun. Von großer Bedeutung ist das Amt in besonderen Situationen, die das Grundgesetz festlegt, und bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen. Dazu muss der Präsident keine Lichtgestalt sein, auch wenn das – wie bei anderen Politikern und Amtsträgern auch – wünschenswert wäre.

Glaubwürdigkeit und moralische Autorität sind hohe Güter. Der Bundespräsident sollte danach streben und sie so weit wie möglich ausstrahlen. Für Journalisten gilt das aber ebenfalls.

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