(Das Magazin, November 2013)
Ferne Liebe
Eine Tour d'amour rund um die Welt
Als der Fernsehjournalist Peter Theisen wieder Single war, legte er eine Berufspause ein und reiste auf verschiedene Kontinente, um Beziehungsfragen in anderen Kulturen zu erkunden.
Ein um die Schulter einer Frau gelegter Umhang aus Schafwolle bedeutet in Georgien den ersten Schritt Richtung Ehe. Wenn man in Indonesien bei einer Hochzeit auf die falsche Treppe tritt, erklärt man dem Brautpaar den Krieg. Und auf Feiern in Sansibar berauschen sich die Frauen mit Muskatnuss bis zur Hemmungslosigkeit. Was macht Liebe in verschiedenen Kulturen eigentlich aus, und wie sehen ihre Hochzeitsrituale aus? Peter Theisen, mit 44 Jahren gerade Single geworden, wollte das herausfinden. Er nahm sich ein halbes Jahr Auszeit von seinem Job als ZDF-Korrespondent, um das rund um den Erdball zu erkunden. Er besuchte zahlreiche Hochzeiten und Feiern und geriet in manche pikante Situation.
Das Ergebnis seiner Recherchen ist sein Buch »Liebe in Zeiten der Cola«, so betitelt in Anlehnung an den Roman »Die Liebe in Zeiten der Cholera« von Gabriel García Márquez. Es wurde eine »Tour d’amour«. Unterstützt wurde der Liebesforscher vor Ort von Frauen, die ihm als Dolmetscherinnen halfen und die er vorab über Internet-Foren wie Couch surfing kontaktiert hatte.
Grund für die Reise nach Georgien war Theisens Begegnung mit einer Bekannten in Berlin, die von dort stammt. Sie erzählte ihm davon, dass sie als Jugendliche in ihrer Heimat nur mit Müh und Not einem Brautraub entkommen war. Früher war er in abgelegenen Regionen weit verbreitet. 15-jährige Mädchen wurden vom Feld weg in Autos verfrachtet und in die Berge entführt und vergewaltigt. Danach waren sie gezwungen, den Mann zu heiraten. In den letzten Jahren gab es zum Glück immer weniger Fälle von Brautraub. Welch große Rolle traditionelle Vorstellungen aber noch immer spielen, sieht man daran, dass es Kliniken gibt, in denen sich Frauen für Hunderte von Euro das Jungfernhäutchen wiederherstellen lassen, um zumindest für die Tage der Hochzeit die Erwartungen zu erfüllen. Theisen schlich sich mit seiner Dolmetscherin als potenzieller Patientin in ein Beratungsgespräch mit einem Arzt in einer solchen Klinik.
Vergnüglicher waren da seine Erfahrungen auf einer Hochzeit in Georgien. Der Zeremonienmeister entpuppt sich als Mitglied der Bruderschaft der »Diener des Patriarchen«. Auf dessen Wohl wird unzählige Male mit Trinksprüchen angestoßen. Nachdem die Gläser schnell geleert sind, werden Hörner gereicht, aus denen der Wein ex zu trinken ist. Schließlich stampfen Zeremonienmeister und Autor zu kaukasischen Volksmusikweisen auf der Tanzfläche unter johlendem Klatschen der 250 Gäste. Auch mit seiner Dankansprache kann Theisen punkten, er toastet auf den georgischen Patriarchen, den deutschen Papst und die Liebe.
Ganz andere Traditionen lernt er bei den Minangkabau auf der indonesischen Insel Sumatra kennen. Die dortige Gesellschaft ist matrilinear, das heißt, das gesamte Familieneigentum vererbt sich von der Mutter auf die Tochter. Der Mann ist zwar offizielles Oberhaupt des Clans, hat aber keinen Besitz. »Durch die wirtschaftliche Macht haben die Frauen ein großes Selbstbewusstsein und können einen Mann leichter hinauswerfen. Das Erstaunliche ist, dass das in einer islamischen Gesellschaft passiert. Ich fand das faszinierend«, sagt Theisen rückblickend. Die Frauen machten sogar den ersten Schritt und fragten ihn nach seiner Mailadresse oder luden ihn ein, als er von seiner Recherche erzählte. »Das war die glücklichste und ausgeglichenste Gesellschaft, die ich auf meiner Reise kennengelernt habe.« Dennoch will er nicht dort verheiratet sein, denn dann müsste er unter der Fuchtel einer Schwiegermutter in einem traditionellen Langhaus leben.
Die Idee, weltweit Beziehungsforschung zu betreiben, kam Theisen nach einer durchsoffenen Nacht und einem Brainstorming mit einer Freundin. »Was treibt uns eigentlich alle um? Der Schriftsteller Alain de Botton nannte die Liebe und das Reisen die beiden größten Sehnsüchte und Glücksfantasien, die wir haben«, so Theisen. Für ihn stand das Ziel der Reise fest. Obwohl es ihm nicht darum ging, dabei eine Frau zu finden, wurde er dennoch fast fündig. Doch als er kurz davor stand, sich in ein em Schlammbad in eine Kolumbianerin zu verlieben, erzählte die ihm von ihrem Wunsch nach künstlichen Brüsten. Theisen nahm Abstand.
Der studierte Ethnologe und Afrikanist hatte sich schon in seiner Magisterarbeit mit Übergangsriten wie Geburt, Geschlechtsreife, Heirat und Tod beschäftigt. Er brachte genügend theoretisches Rüstzeug für den Kulturvergleich mit. Auch wenn er einige skurrile Erlebnisse auf seiner Reise hat und sie auch im Buch amüsant schildert, nie betrachtet er die Traditionen anderswo arrogant: »Religionen geben uns durch Rituale einen Halt. Rituale tun dem Menschen gut, sie beugen der Vereinzelung vor und bieten Orientierung. Aber das Thema ist ambivalent. Für uns ist soziale Kontrolle schwer zu akzeptieren, und es gibt die Gefahr der Doppelmoral, wie das Geschäft mit der Jungfräulichkeit in den georgischen Kliniken zeigt.« Neue gesellschaftliche Freiheiten führen dazu, dass die romantische Liebe in vielen Ländern jetzt eine Chance hat, sich zu entwickeln, »weil man sich von patriarchalischen und religiösen Strukturen befreit. Früher hatten die Mädchen keine andere Möglichkeit, als den Nachbarjungen zu heiraten«, so Theisen.
Ehrlich schildert der Autor auch für ihn peinliche Situationen, so zum Beispiel seinen Auftritt als staksiger Salsa-Tänzer in Südamerika, ein Kuhrennen auf Sumatra, bei dem er sich am Schwanz eines Tieres festhalten und Schlamm und Schlimmeres schlucken muss, und den Faux-pas mit der falschen Treppe bei einer Hochzeit auf jener Insel. Dort hatte der deutsche Gast dem auf einer Bühne sitzenden Brautpaar brav und wortreich gratuliert, anschließend aber dieselbe Treppe benutzt, auf der er zur ihnen hochgestiegen ist. Das bedeutet, dass er vor den Augen der Hochzeitsgesellschaft alle guten Wünsche wieder zurückgenommen hat, wird er später von seiner Dolmetscherin aufgeklärt.
Am besten im Flirten sind die Kolumbianerinnen, lautet sein Fazit. »In unserer Gesellschaft ist das Spielerische, das Freie verloren gegangen. Der Eros braucht diesen Freiraum, damit er sich entfalten kann. Deutsche haben Defizite im Flirten.«
Ohnehin führten seine globalen Erkundungen dazu, dass er auch einen neuen Blick auf seine Landsleute wirft: »Als ich zurückkam, war ich schon ein bisschen erschrocken, als ich die Gesichter gesehen habe: Oh Gott, die sind alle angespannt, die sind alle gestresst. Der Augenkontakt ist zu wenig da. Das ist aber der Schlüssel für die Liebe.« Der Kontakt im Alltag wird kaum mehr zum Kennenlernen genutzt, viele starren auf ihre Laptops und Smartphones und tragen auf der Straße Kopfhörer. »Wir verspielen unsere Chance zur romantischen Liebe, die wir uns als Errungenschaft ja vor 200 Jahren erkämpfen mussten.«
Auch eine interessante und überraschende Parallele machte Theisen aus. Eine Inderin fand es positiv, dass ihre Eltern den künftigen Ehemann nach Kriterien wie »Wer passt zu ihr?«, »Hat er die gleichen Hobbys?« und so weiter auswählen. Über solch arrangiertes Heiraten rümpfen wir im Westen die Nase, aber die meisten Online-Börsen funktionieren nach dem gleichen Prinzip. Online-Dating hat übrigens in den meisten Ländern längst Einzug gehalten. Die Globalisierung nähert die Kulturen weltweit einander an. So sind inzwischen Akademikerinnen Ende zwanzig, Anfang dreißig überall hin- und hergerissen zwischen Beruf und Familienplanung.
Immerhin: Der im internationalen Vergleich weit fortgeschrittene Rollenwandel hierzulande hat sich offenbar weltweit herumgesprochen. »Deutsche Männer schieben Kinderwagen und können Windeln wechseln. Das ist für Afrikanerinnen unvorstellbar.« So bekam Theisen auf Sansibar Heiratsangebote, obwohl die Frauen ihn nicht kannten – wobei sicher auch das Wohlstandsgefälle mitspielte, wie er einräumt. Auch bei den von Machos genervten Kolumbianerinnen konnte er mit seiner umsichtigen Art die Salsa-Defizite ausgleichen.
Der schwierigste Teil der Reise war überraschenderweise die Südsee. »Ich hatte mich zuvor darauf gefreut und gedacht, hier wird alles leicht. Vor hundert Jahren hat eine amerikanische Ethnologin ein Buch über die freie Liebe dort geschrieben.« Doch davon wollen die heutigen Inselbewohner nichts wissen und sehen ihren Ruf durch die westliche Kulturexpertin verunglimpft. »Wir sind treue Christenmenschen«, beteuerten sie.
Der Liebesforscher, der über ein zweites Buch zum Thema nachdenkt, rät deutschen Frauen: »Sie sollten ihre weibliche Seite, die Anima, entdecken. In den vergangenen Jahrzehnten haben sie vor allem ihre männliche Seite, den Animus, entwickelt.« Gespräche seien dafür wichtig: Was willst du von mir? Was will ich von dir? »Vor meiner Reise war manches für mich ein Tabu, und es sind dadurch einige meiner Beziehungen gescheitert. Bei meinen Interviews auf Reisen waren nun viele Frauen erstaunlich auskunftsfreudig. Ich habe mir vorgenommen, künftig auch mit Deutschen offen darüber zu sprechen.«
Gegenüber einer eventuellen binationalen Beziehung ist der Kulturexperte allerdings skeptisch geworden. »Kommunikation ist so wichtig, und wenn man nicht in der Muttersprache spricht, gehen viele Nuancen verloren.« Insofern wäre ihm eine deutsche Frau dann doch am liebsten.
