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Ulrich Hottelet
Freier Journalist

(Kommentar im Medienmagazin 'Journalist', November 2005)

Der Umfrageritis-Ringelpiez

"Fühlen Sie sich überfordert,
sind Sie rundherum gesund,
wär' ein Kaiser Ihnen lieber,
hab'n Sie Katze oder Hund,
wie oft wechseln Sie den Partner,
kleiden Sie sich oftmals bunt,
liefen Sie schon einmal Amok,
und wenn ja, was war der Grund?"

Die Zeilen aus Hildegard Knefs trefflichem Lied "Fragebogen" feiern fröhliche Urständ. Denn die Umfrageritis grassiert landauf, landab heftig wie nie zuvor. Deutschland - einst das Land der Dichter und Denker, heute eher das der Meinungsforscher. Wobei so manche Umfrage wahrlich in die Rubrik "Dichtung und Wahrheit" fällt. Denn wer kümmert sich schon darum, dass die hochseriösen Zahlen womöglich nur auf der Befragung von 30 Passanten in der Fußgängerzone basieren? Macht nichts, Hauptsache, die Zehntelstelle hinter dem Prozentpunkt suggeriert eine wissenschaftliche Erhebungsmethode. Dabei profitieren alle Beteiligten: Die Medien können den schier unerschöpflichen Quell von Umfragemeldungen ohne lästigen Rechercheaufwand anzapfen, die Meinungsforschungsinstitute machen einen Reibach und die Telekom bei Telefonumfragen erst recht.

Ein jähes Erwachen beim Umfrageritis-Ringelpiez brachte allerdings der Wahlabend am 18. September, als um 18 Uhr zumindest ein einziger klarer Wahlverlierer feststand, nämlich all die ach so renommierten Meinungsforscher, deren Ergebnisvoraussagen meilenweit daneben lagen. Das hinderte aber viele SPD-Politiker mit dem Bundeskanzler an der Spitze nicht, den klaren Verlust von über vier Prozentpunkten flugs in eine erfolgreiche Aufholjagd umzumünzen nach dem Rezept: Man nehme die schlechtesten Umfragezahlen der vergangenen Wochen, vergleiche sie mit dem tatsächlichen Wahlergebnis und, voilà, heraus kommt die eigene Partei als strahlender Wahlsieger. Eine Masche, die immer mehr um sich greift. Ob die Umfragen in den Wochen vor der Wahl nur ansatzweise stimmten oder ebenso daneben lagen wie die Prognosen kurz vor dem Wahlsonntag, danach fragt ja keiner. Und so werden wir uns bei diesem Gemisch aus kommerziellen Interessen, Deutungsmanipulationen und fehlendem Durchblick wohl weiter erfreuen an Umfragen der Güteklasse à la "Wer soll Ihrer Meinung nach parlamentarischer Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium werden?" Ach ja, übrigens: Sollten Ihnen diese Zeilen nicht gefallen, so wenden Sie sich getrost an einen TED Ihres Vertrauens.

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