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Ulrich Hottelet
Freier Journalist

(Danziger Hauskalender, Januar 2005)

Leuchtende Zukunft für den Leuchtturm von Neufahrwasser

Der Lotsenturm gegenüber der Westerplatte gehörte bislang nicht zu den klassischen Ausflugzielen von einheimischen Danzigern und Touristen. Umso mehr wunderte sich daher Stefan Michalak über das ungewöhnliche Interesse eines einsamen Spaziergängers für den Turm, als Michalak am Morgen des 1. Juni 2002 mit dem Auto vor seinem ein Jahr zuvor gekauften Bauwerk in Neufahrwasser vorfuhr.

"Der Herr lief um den Turm herum, schaute an ihm hoch und machte den Eindruck, dass der Anblick ihn berührte", erinnert er sich. Kurz entschlossen sprach er ihn an: "Kann ich etwas für Sie tun?" Der Spaziergänger Erwin Hottelet - ein alter Danziger und außerdem Vater des Schreibers dieser Zeilen - antwortete: "Jestem Niemcem" ("ich bin Deutscher"). Die beiden kamen ins Gespräch und Hottelet erzählte von seinem Großvater Max Hottelet, der vor dem Zweiten Weltkrieg als Werkstättenleiter des Danziger Hafens in einem Backsteinhaus neben dem Lotsenturm lebte. Das Haus existiert nicht mehr. Dafür steht auf der anderen Seite, in Richtung Ostsee, das große Gebäude des jetzigen Hafenamts. Schon nach wenigen Minuten schlug Michalak vor: "Bitte betreten Sie den Turm. Hier ist der Schlüssel. Sie sind der Hausherr." Gemeinsam genossen die beiden von der Turmspitze aus die wunderschöne Aussicht über Ostsee, Westerplatte, Hafengelände und Neufahrwasser.

Danach lud der neue Eigentümer den Enkel des ehemaligen Lotsenturmnachbarn in seine Wohnung in der Seestraße in Zoppot und im Anschluss zu einem gemeinsamen Besuch der Olivaer Kathedrale ein und erzählte ihm von seinen Plänen, den Turm zu renovieren und als Ausstellungsort öffentlich zugänglich zu machen. Allein ein mit Denkmalpflege vertrauter Architekt war noch nicht gefunden. Hottelet wusste Rat: kurzerhand schlug er seinen Neffen Alexander Schmid vor, der mit seiner Partnerin Carlotta Birelli in Berlin das auf Altbau und Denkmalpflege spezialisierte Architekturbüro Altri Architetti führt. Michalak nahm Kontakt mit den beiden auf und erteilte ihnen schon bald den Auftrag zur Renovierung.

Der 27 Meter hohe Klinkerturm von Neufahrwasser war nach einjähriger Bauzeit 1894 in der Nähe des alten Turms von 1757 errichtet worden. Architektonisches Vorbild war der Leuchtturm in Cleveland/Ohio am Erie See. Über den Grund, warum ein so weit entfernt stehender Bau als Vorlage diente, gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Just im gleichen Jahr 1894 wurde übrigens der amerikanische Turm abgerissen. Mit dem Neubau auf dem Gelände der Lotsenwarte im Danziger Hafen vereinigte man die Funktionen eines Lotsen- und Leuchtturms sowie einer Zeitballstation. Mit dem Zeitball gab man den Kapitänen der Schiffe die Möglichkeit, ihre Chronometer exakt zu stellen. Täglich um punkt 12 Uhr fiel der Zeitball weithin sichtbar herab. Das auslösende Signal dafür kam mit Lichtgeschwindigkeit von der Königlichen Sternwarte im 600 Kilometer entfernten Berlin. Genauigkeit war dabei Trumpf, denn nur eine Sekunde Verzögerung führte zu einer Fehlpositionierung der Schiffe um 500 Meter!

Doch nicht nur diese für die damalige Zeit überaus fortschrittliche Technik macht den Leuchtturm so bemerkenswert. Er machte sogar kurz weltgeschichtliche Karriere, als am 1. September 1939 um 4.45 Uhr das deutsche Schulschiff Schleswig-Holstein die dem Turm gegenüberliegende Westerplatte beschoss und damit den Zweiten Weltkrieg auslöste. Ob der Signalschuss für die deutsche Marine vom Lotsenturm oder von einem anderen Ort in Neufahrwasser aus erfolgte, lässt sich nicht mehr feststellen.

Noch heute sichtbar sind dagegen die MG-Einschüsse und die wohl ebenfalls durch Beschuss von der Westerplatte aus verursachten Bombenschäden am Turm. Wahrscheinlich gehen sie auf einen Schusswechsel zwischen Wehrmachtssoldaten auf dem Turm und polnischen Verteidigern auf der Westerplatte zurück. Michalak und die Architekten waren sich einig, dass im Sinne einer behutsamen Denkmalpflege diese teilweise zu Kriegszeiten notdürftig ausgebesserten Schäden bewusst zur Mahnung sichtbar bleiben sollten. Zur Sicherheit der Besucher musste aber natürlich die Statik auf der Aussichtsterrasse verbessert werden. So wurden lose Granitteile befestigt und das Geländer instandgesetzt. Zu den unterschiedlichen Restaurierungsmaßnahmen zählten unter anderem auch die Instandsetzung der Fenster, das Fliesen der Kammern für den Leuchtturmwärter, die Ausbesserung der Stufen am Eingang und die Anhebung des Erdreichs sowie der neue Anstrich im Turminneren. Architektin Birelli zieht das Fazit: "Der Leuchtturm war seit den 80er Jahren zu einem langsamen Tod verurteilt, da er durch den Bau des neuen modernen Leuchtturmes im Nordhafen seine Funktion verloren hatte. Herr Michalak hat das Gebäude davor bewahrt zu verfallen und irgendwann abgerissen zu werden."

Nach zwei Jahren waren die Restaurierungsarbeiten beendet und so konnte der Turm am 7. Mai 2004 - 110 Jahre nach seiner Fertigstellung und 20 Jahre, nachdem er von einem neuen Leuchtturm ersetzt worden war und damit ausgedient hatte - feierlich wiedereröffnet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Stadt Danzig und die Hafenverwaltung hatten für den Anlass ein festliches Programm zusammengestellt. Vormittags hieß er rund 200 Gäste im Festsaal des Artushofs willkommen. In der Begrüßungsrede freute sich Bürgermeister Pawel Adamowicz über die neue Attraktion im Danziger Hafen und schlug den Bogen zwischen der bewegten Geschichte des Bauwerks und dem wenige Tage zuvor erfolgten Beitritt Polens zur EU, der für die wechselvollen deutsch-polnischen Beziehungen ein neues und besseres Kapitel eröffnet. Danach machte Michalak die architektonische Geschichte des Turms in einem Dia-Vortrag anhand etlicher historischer Fotos und Zeichnungen plastisch. Im Anschluss ging es mit einem Ausflugsdampfer von der Grünen Brücke die Mottlau entlang durch den Danziger Hafen bis zum Leuchtturm, wo eine Blaskapelle des Küstengrenzschutzes die Gesellschaft mit der Ostseehymne begrüßte. Nachdem Bürgermeister Adamowicz dem außergewöhnlichen Investor den Verdienstorden der Stadt Danzig verliehen hatte, wurde der Turm aufgeschlossen und die Gäste konnten die architekturhistorische Ausstellung besichtigen sowie die schöne Aussicht über die Danziger Innenstadt, Hafen und Ostsee genießen.

Der umtriebige Michalak sprüht geradezu vor Ideen und Plänen, was er um den Leuchtturm herum so alles veranstalten will. Wichtigstes Anliegen ist ihm der Zeitball: "Wenn wir den wieder auf den Leuchtturm schaffen könnten, wäre ich sehr glücklich. Ich sehe schon Ruderregattas wie Oxford/Cambridge auf der Toten Weichsel vor dem Turm, wozu der Zeitball des Startsignal geben könnte. Und ich träume von Musikkonzerten, zum Beispiel Wagner-Opern, vor dem Turm, wobei das Publikum auf der Westerplatte Platz nimmt." Auch Kunstausstellungen im Turm kann sich der kreative Museumsdirektor gut vorstellen. Nur die für eine hohe Besucherfrequenz nötige Anlegestelle für Fähren aus Danzig und von der Westerplatte steht noch aus. Michalak steht aber in Kontakt zu den Behörden, damit sie bald grünes (Leuchtturm-)Licht dazu geben.

Wie der Turm hat auch sein 1943 in Warschau geborener Eigentümer eine deutsch-polnische Vergangenheit. Sein Großvater zog 1900 aus der Region Großpolen nach Kiel. Dort wurde Stefan Michalaks Vater geboren, der in den 30er Jahren in Gdingen wohnte und als Schiffsarzt arbeitete. Während des Elektrotechnikstudiums in Warschau und Danzig arbeitete Stefan Michalak 1966 als Werkstudent bei Siemens in Braunschweig. 1969 wanderte er nach Kanada aus und wurde später in Montreal Direktor eines Unternehmens, das elektronische medizinische Geräte herstellt. Heute verbringt er einen Teil des Jahres dort, den anderen in Danzig.

Informationen und Fotos im Internet unter http://www.latarnia.gda.pl/english/

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